6 Die Situation im Onlinehandel

Nach der Distribution insgesamt, der Situation der Markenhersteller und des traditionellen Einzelhandels soll in diesem Kapitel die Situation im E-Commerce im engeren Sinn behandelt werden. Von aussen betrachtet strotzt dieses Marktsegment nur so vor Vitalität und Zuversicht. Die Angebote werden laufend ausgebaut: auf einem Schweizer Onlinemarktplatz können jetzt sogar neue Autos spontan erworben werden, Möbel lassen sich mieten, Lebensmittel auch kostenlos nach Hause liefern und der Handel mit Certified-pre-owned Luxusuhren macht sich auf, ein grosses Geschäft zu werden.

6.1 Wachstumserwartungen und Rentabilität

Abb. 4 in Kapitel 2.2 zeigte bereits, dass alle Studienteilnehmer auch im laufenden Jahr ein Wachstum des E-Commerce-Umsatzes in ihrer Branche erwarten. Das gilt auch auf mittlere Sicht bis zum Jahr 2025: 24 von 34 Befragten erwarten, dass der E-Commerce-Anteil in diesen sechs Jahren in ihrer Branche um 50 % oder mehr zulegen wird (Abb. 17). Über die Hälfte geht sogar von einer Verdoppelung aus.

2025 wird der E-Commerce-Anteil bei Wohnaccessoires doppelt so hoch sein wie heute. Patrick Strumpf, Jamei

Der Onlineanteil im Weinhandel wird sicher weiter zunehmen, zurzeit wächst er um 10 % jährlich. Dominic Blaesi, Flaschenpost Services

Die Anteile von Stationär zu Online werden sich noch weiter verschieben. Patrick Bundeli, INTERSPORT Schweiz

Die Wachstumserwartungen bewirken eine starke Investitionstätigkeit (Abb. 18). Investitionsschwerpunkte sind Informatik und Logistik, manchmal verbunden mit grossen Bauvorhaben. Ziel der Investitionen sind die Weiterentwicklung der Erfolgsfaktoren im Wettbewerb, Umsatzsteigerungen mit dem Marktwachstum oder darüber hinaus und Verbesserung der Rentabilität. Da seit Beginn des E-Commerce primär auf Positionierung und Marktanteilsgewinn geschaut wurde, ist die Ertragssituation bei den meisten Anbietern mit physischen Produkten schlecht. Nach Einschätzung von fast 90 % der Studienteilnehmer sind viele Schweizer E-Commerce-Anbieter rentabilitätsseitig noch nicht in einer stabilen Position (Abb. 18). Mit steigendem Volumen wird es aber zwingend, auch die Ertragsseite in den Griff zu bekommen.

Viele Unternehmen haben bei ihrem Einstieg in den E-Commerce über mehrere Jahre eine schwache oder sogar negative Rentabilität in Kauf genommen. Irgendwann wird der Onlineanteil aber so gross, dass das nicht mehr geht. Studienteilnehmer

Einzelhändler, die nicht investieren können, werden aus dem Markt fallen. Jordan Ballazini, MediaMarkt Schweiz

In unserer Branche wird weiterhin massiv in den E-Commerce investiert. Lorenz Weber, PCP.COM-Gruppe

Viele Unternehmen verdienen im E-Commerce mit physischen Produkten immer noch kaum Geld.

Die Rentabilität von E-Commerce hängt stark von den Produkten ab, von ihrem Warenwert, ihrer Marge und den Gepflogenheiten der Branche, z. B. in Bezug auf den Umgang mit Retouren. «Einen Taschenrechner für 30 Franken einzeln zu versenden, ist kaum rentabel, eine teure Fotokamera dagegen schon», erklärt ein Studienteilnehmer. Das ist der Grund für die zögerliche Absenkung der Mindestbestellwerte im Lebensmittel-E-Commerce, für die generelle E-Commerce-Zurückhaltung bei Discountern für Produkte des täglichen Bedarfs oder bei Tiefstpreis- orientierten Fast-Fashion-Retailern wie Chicorée oder Primark. Die Schweizer Modeversender haben immer daran gezweifelt, dass kostenloser Versand ohne Mindestbestellwert und kostenloser Rückversand nachhaltig sein können. Mit grosser Aufmerksamkeit beobachten sie nun, wie sich Zalando hier weiter verhält, nachdem im Ausland in einigen Ländern der kostenlose Versand an einen Mindestbestellwert gebunden wurde.

Es ist schwierig, im E-Commerce Geld zu verdienen. Bei sehr effizienten Pure-Retailern im Bereich Fast Fashion könnten die Vertriebskosten niedriger sein. Studienteilnehmer

Reiner E-Commerce ist kein super profitables Geschäft. Mittlerweile haben Offline- und Online-Anbieter die gleichen Probleme. Studienteilnehmer

Unabhängig von produkt- oder branchenbezogenen Faktoren haben sich die Kostenvorteile des E-Commerce im Vergleich zu traditionellen Vertriebskanälen generell weiter verflüchtigt. Verantwortlich sind zum einen die hohen Investitionskosten, die wegen der Notwendigkeit der ständigen Weiterentwicklung sehr schnell abgeschrieben werden müssen, zum anderen die immer weiter steigenden Kosten für den Zugang zum Kunden.

6.2 Sollen sich individuelle Onlineshops auf Onlinemarktplätzen engagieren?

Umgang mit mächtigen digitalen Plattformen war das Schwerpunktthema im E-Commerce Report Schweiz 2018 [19], in dem auch Onlinemarktplätze umfassend thematisiert wurden. In diesem Jahr wurde auf die Frage fokussiert, ob sich individuelle Onlineanbieter auf Onlinemarktplätzen engagieren sollen. Hintergrund dafür war, dass Galaxus seine Rolle als Marktplatz mit grossem Einsatz vorantreibt und auch mehrere Mitglieder des Studienpanels wegen einer Listung ihrer Angebote auf Galaxus angesprochen hat.

Das starke Wachstum der sehr grossen Marktplätze, das ist aktuell die bedeutendste Marktveränderung. Allen Krief, DeinDeal

Man kann beobachten, dass die meisten Anbieter nun neben ihrem eigenen Onlineshop zusätzlich auf Plattformen anbieten. Patrick Strumpf, Jamei

Zunächst sei hier angemerkt, dass sich die 2018 akzentuierte Aufregung um Amazon wieder gelegt hat. Diese war entstanden, nachdem eine engere Zusammenarbeit Amazons mit der Schweizerischen Post bekannt geworden war. Prozessanpassungen musste Amazon schon deshalb vornehmen, da grosse ausländische Anbieter seit Anfang 2019 der Schweizer Mehrwertsteuerpflicht unterliegen. Die automatisierte elektronische Importabwicklung könnte die Prozesse beschleunigt haben, so etwas wie ein Marktangriff wurde aber von niemandem beobachtet. Erwartet wird nun, dass Amazon in der Schweiz etwa im Umfang der letzten Jahre weiterwachsen wird.

Die eine Zeitlang befürchtete Amazon-Offensive in der Schweiz ist bislang nicht eingetreten.

An Bedeutung gewonnen haben dagegen Überlegungen, ob es für Schweizer Anbieter sinnvoll sein könnte, selbst auf Amazon.de anzubieten: einerseits, um von dort aus das Schweizer Publikum zu bedienen, was ja im Vergleich zu aus Deutschland versendenden Anbietern mit besonders kurzer Lieferzeit geschehen könnte, andererseits und eher als Nebeneffekt um Erfahrungen in Deutschland und der EU zu machen. Auf die grundsätzliche Frage, ob man ausländische Onlinemarktplätze mit Ausrichtung auf die Schweiz als Vertriebskanal nutzen sollte, wurde überwiegend eher zustimmend beantwortet, was auf Unsicherheit schliessen lässt (Abb. 19). Vier Teilnehmer im Studienpanel haben Erfahrungen oder tiefgehenden Einblick in Erfahrungen mit dem Verkauf über Amazon. Einer von ihnen hat sein Engagement nach etwa zwei Jahren wieder beendet. Ein fünfter war eigentlich gewillt, Amazon als Vertriebskanal für sich zu testen, nahm davon dann aber nach einer Analyse der Vertragsbedingungen wieder Abstand.

Überall dort, wo man vergleichbare Produkte nicht zu einem sehr guten Preis anbieten kann, sollte man die Transparenz von digitalen Plattformen meiden. Marcel Dobler, Franz Carl Weber

Wenn man beobachtet, wie Plattformen im Ausland mit ihren Anbietern umgehen, fällt es mir schwer zu empfehlen, da mitzumachen. Studienteilnehmer

Viele Onlineanbieter sind zu schwach für leistungsfähige eigene Onlineshops, sie sollten sich auf Marktplätze fokussieren. Patrick Strumpf, Jamei

Seine Produkte auf einem Marktplatz anzubieten, kostet viel weniger, als einen eigenen Shop zu betreiben. Matthias Fröhlicher, KOALA

Wenn Amazon in die Schweiz kommt, werden wir darüber verkaufen. Dominic Blaesi, Flaschenpost Services

In den Diskussionen dominierte auf der befürwortenden Seite erwartungsgemäss das Potenzial der Reichweite. Dass die Schweizer Anbieter überhaupt gute Erfolgsaussichten hätten, wurde einfach vorausgesetzt. Bei den Skeptikern standen die Aspekte der Preistransparenz und der Konkurrenzierung durch den Marktplatz selbst im Zentrum. Letzteres wird auch bei Galaxus beobachtet.

In Deutschland nimmt Amazon zwar bald 50 % des Marktes ein, aber die restlichen 50 % sind immer noch gross genug, um sich dort zu behaupten. Studienteilnehmer

Ich denke, die Dominanz von Amazon und Alibaba wird sich bis 2025 weiter verstärken. Maud Hoffmann, geschenkidee.ch

Angesichts der Schwierigkeit, dem zwischenzeitlich sehr hohen Leistungsniveau im E-Commerce mit einem individuellen Onlineshop gerecht werden zu können und es auch noch zu schaffen, für ausreichend Traffic zu sorgen, wird immer wieder thematisiert, ob die Partizipation an Marktplätzen mittelfristig nicht unausweichlich ist. Abb. 20 zeigt, dass zwei Drittel der Studienteilnehmer damit rechnen, dass 2025 die Mehrheit der Onlinebestellungen auf digitalen Plattformen und nur die Minderheit auf individuellen Onlineshops eingehen könnte. In Deutschland und den USA stehen die Plattformen bereits heute für mehr als die Hälfte der Onlineumsätze, in der Schweiz sind es geschätzt etwa 30 %. Dass der Siegeszug der Plattformen zur Folge haben wird, dass etliche der heutigen Schweizer Onlineshops aufgeben oder nur noch eine Nebenrolle spielen werden, nimmt knapp die Hälfte der Teilnehmer nicht an (Abb. 20).

In einer Welt von Plattformen kann sich der Einzelhändler vielleicht dadurch behaupten, dass er ein Teil von diesen wird. Marc Isler, BRACK.CH

Ob und wie es individuellen Anbietern gelingen kann, sich in der Konkurrenz mit Onlinemarktplätzen überhaupt zu behaupten, wird ebenfalls erörtert. Zusammengefasst kann man sagen, dass dazu Angebotsmerkmale benötigt werden, die über die eigentliche Produktfunktion hinausgehen. Wenn es nur darum ginge, ein gewöhnliches Produkt zu verkaufen, hätte ein einzelner Anbieter auf einem Marktplatz keine andere Unterscheidungsmöglichkeit als den niedrigsten Preis, bemerkt ein Teilnehmer. Bei Angebotsmerkmalen, die einem Onlineanbieter eine Differenzierung von anderen Angeboten verschaffen könnten, fallen folgende Stichworte:

  • Merkmale, die eine Plattform nicht bieten kann

  • Identitätsprägende Nische

  • Ausrichtung auf ein Thema (Wein) oder einen für den Kunden relevanten Use Case (Geschenk finden), Inhalte oder Funktionen wie Expertensuche, Auswahl-/ Spezifikationsprozess oder Konfigurator

  • Abonnemente, Miete, Finanzierungsmodelle

  • Exklusive Produkte oder Services, Eigenmarken, Sondereditionen

  • Personalisierbare Produkte

  • Kuratierte Sortimente und Anwendungskompetenz

  • Beratung, Support

  • Produkt-Service-Kombinationen

  • Stationäre Geschäfte (Marke, Stammkunden)

  • Starke Marke, Vertrauen, Kompetenzausweis

  • Kundenbindungsprogramm mit exkl. Incentives

  • Differenzierende Kommunikationsmassnahmen

  • Personalisierung in der Kommunikation

  • Bereitschaft, viel Geld für Marketing auszugeben

Den meisten dieser Merkmale liegt zugrunde, dass der Kunde sie bereits kennen muss, um den Anbieter gezielt anzusteuern. Sollen sie im Onlinemarketing ausgespielt werden, bedarf es eines kontinuierlichen Pivotierens, Anpassens und Suchens nach Differenzierung, um immer wieder rentable Kundenzugänge zu finden.

Es braucht eine einzigartige Markenidentität, ein einzigartiges Angebot und einen fantastischen Service, um sich gegenüber Plattformen zu behaupten. Laurent Garet, La Redoute Suisse

Ein Onlinemarktplatz kann das Leistungsniveau eines guten, produktspezifisch ausgerichteten Onlineshops nicht erreichen. Daniel Röthlin, Ex Libris

Wir wollen von den Veranstaltungsbesuchern Feedback viel gezielter erheben, um ihnen die besten Empfehlungen für ihre künftigen Veranstaltungsbesuche anbieten zu können. Christof Zogg, Starticket

In Bezug auf ein Engagement auf Onlinemarktplätzen gewinnt eine Sowohl-als-auch-Haltung die Oberhand.

Trotz der Herausforderung der Differenzierung zeigen sich zunehmend mehr Studienteilnehmer aufgeschlossen, neben dem eigenen Onlineshop auch auf Onlinemarktplätzen anzubieten. Einige Anbieter betreiben erfolgreich eine Doppelstrategie, darunter Beliani, BRACK.CH, Hotelplan und PCP.COM.

«Das Vorgehen will einfach gut durchdacht sein» – die Studienteilnehmer geben dazu einige Empfehlungen: Vermeiden sollte man, auf Marktplätzen Produkte mit guter Marge zu verkaufen, die die Plattform auch selbst beziehen kann. Gleiches gilt für Artikel, die in der laufenden Saison knapp werden könnten. Dagegen eignen sich zum Verkauf auf einem Onlinemarktplatz solche Produkte, die man mit guter Marge eingekauft und selbst in ausreichender Menge verfügbar hat. Der eigene Shop sollte immer noch Vorteile gegenüber der Plattform haben, z. B. bei den besonders gefragten Produkten, – so lauten die vorgetragenen Argumente. Aber natürlich können auch andere Strategien sinnvoll sein.

Es ist sinnvoll, parallel zum eigenen Onlineshop auch über Marktplätze zu verkaufen. Dabei muss der eigene Shop immer einen Sortimentsvorteil haben. Matthias Fröhlicher, KOALA

Für die TUI-Reiseangebote ist der Fremdvertrieb neben dem Eigenvertrieb sowohl online als auch stationär ein wesentlicher Bestandteil der Absatzsicherung. Erich Mühlemann, TUI Schweiz

Als individueller Onlineshop braucht man Produkte und Services, die es auf Marktplätzen nicht gibt. Allen Krief, DeinDeal

Es wird zu einem Revival individueller Onlineshops mit starkem Brand kommen. Kilian Kämpfen, Scout24 Schweiz

6.3 Mobile Commerce

E-Commerce, seit seinem Beginn ab etwa 1995 internetbasiert, wurde mit dem Siegeszug des Smartphones ab 2007 um Mobile Commerce erweitert und nun, weitere zwölf Jahre später ab etwa 2019, könnte mit Conversational Commerce eine weitere Spielart auftreten (Kapitel 6.6). In der diesjährigen Befragung interessierten die qualitativen Unterschiede zu Desktop-Commerce.

Die Verlagerung zum Smartphone beschleunigt sich.

Bei Mobile Commerce fokussieren wir auf die Nutzung von Smartphones. 2018 hat der Anteil des Umsatzes, der über Smartphones generiert wird, bei den Teilnehmern im Studienpanel einen grossen Sprung nach vorn gemacht: Bei gut 40 % von ihnen liegt der Umsatzanteil bereits bei 30 % oder mehr (Abb. 21). Ein Jahresvergleich zeigt eine Beschleunigung dieser Entwicklung.

Mobile Sales wachsen stark und Mobile Search wird jetzt sehr wichtig. Nicole Pfammatter, Hotelplan Suisse

Für die junge Generation ist es kein Problem, auf dem Smartphone Möbel zu kaufen. Stephan Widmer, Beliani

Abgesehen vom Arbeitsplatz verschwinden Desktops und Notebooks aus dem Umfeld der Menschen. Tobias Schubert, Farmy

Was die Unterschiede von Mobile Commerce zu Desktop Commerce angehen, berichten die Teilnehmer von einem häufig flüchtigeren Verhalten und spontaneren Entscheidungen. Das hat Auswirkungen auf das Design: Die Oberflächen müssen für die Nutzer sehr schnell erfassbar sein, was auch weniger Text bedeutet. Die Suche sei auf dem Handy explorativer und weniger fokussiert, so ein Teilnehmer. Empfehlungskomponenten komme eine noch höhere Bedeutung zu als beim Desktop.

Das Marketing profitiert vom Nutzerverhalten auf Smartphones. Allerlei Posts etwa auf Instagram und Facebook, die von den Nutzern zwischendurch immer mal überflogen werden, dienen der Anregung neuer Konsumwünsche. In der weiteren Customer Journey lässt sich das Benutzerverhalten an den folgenden, digitalen Touch- Points gut beobachten. Zumindest Google wird sich ein gutes Bild davon machen können, nach welchem Muster daraus Käufe entstehen.

Ein altbekannter Trigger sind Promotionen, die auf dem Smartphone spontane Einkäufe auslösen. Das geht durchschnittlich mit kleineren Warenkörben einher. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Konsumenten nicht auch teure Produkte und Leistungen auf dem Smartphone bestellen.

Mobile bestellen die Leute spontaner, dafür aber kleinere Warenkörbe. Kilian Eyholzer, Victorinox

Durch Smartphones nehmen Impulskäufe zu, die Kunden fällen schnellere Ja/Nein-Entscheide. Dabei wächst die Bedeutung von Promotionen. Laurent Garet, La Redoute Suisse

Mit mobilen Endgeräten buchen die Leute selbst Reisen spontaner. Michael Maeder, Switzerland Travel Centre

Mobile reduziert die Hemmschwelle für das Einkaufen. Francesco Vass, ricardo.ch

Für das Smartphone müssen die Informationen ganz anders aufbereitet werden: weniger textlastig, mehr Bilder, Video und Bullets, die das Wesentliche schneller zeigen. Marc Isler, BRACK.CH

Die im Vergleich zu Geräten mit Tastatur unkomfortablere Eingabe von Text bewirkt eine höhere Kundenbindung bei den Anbietern, bei denen die relevanten Daten schon hinterlegt sind. Bei Apps beinhaltet der Start das Log-in und der Check-out reduziert sich auf einen Touch. Auf dem Home-Screen mit einem Button abgelegt zu sein kann heissen, für eine bestimmte Anwendung ein vorausgewählter Anbieter zu sein. Damit entsteht eine Wechselbarriere. Den Effekt könnte man mit dem eines sehr flexiblen Abonnements vergleichen.

Die mühsamen Eingaben auf Smartphones bewirken einen Lockin- Effekt – Leute kaufen lieber bei Anbietern, die sie schon kennen. Samy Liechti, BLACKSOCKS

Ebenfalls kundenbindend wirken praktische Funktionen von Smartphone-Apps, an die man sich einmal gewöhnt hat. Beispiele sind das Abfotografieren von Produkten, das Scannen von Barcodes für Einkaufslisten oder auch das einfache Bezahlen mit einer App wie TWINT.

Bei privaten Classifieds-Inserenten steigt der App-Anteil, schon wegen der integrierten Foto-Möglichkeit. Kilian Kämpfen, Scout24 Schweiz

Twint ist praktisch, wenn man sich mal damit vertraut gemacht hat. Das sollte noch einfacher werden. Matthias Fröhlicher, KOALA

Trotz aller Vorteile, die Conversion ist auf Smartphones seit jeher schlechter als auf dem Desktop. Das verbessert sich langsam, auch weil junge Leute teilweise gar keine PCs oder Laptops mehr besitzen. Gründe für die schlechtere Conversion sind in den Augen von Christof Zogg von Starticket teilweise Branchen- und Use-Case-bezogen. Die Darstellung des Saalplans einer Event-Location, die dem Nutzer helfen soll, die passenden freien Plätze zu finden, ist auf dem Smartphone naturgemäss schwieriger als die einer Streckenverbindungen von A nach B im öffentlichen Verkehr.

Entscheidend ist, den nächsten Swipe auszulösen.

Daneben ist die Mobile-gerechte Usability ein Schlüssel für die Conversion. Idealerweise sollte die Benutzerführung punktgenau auf die Bedürfnisse in der jeweiligen Situation zugeschnitten sein. Eine etwas umgruppierte und verkleinerte Version der für Desktops entwickelten Website wird dem oft nicht gerecht.

Der Grund, warum Mobile bei der Conversion hinterherhinkt ist, dass die meisten Anwendungen nicht mobile-optimiert sind. Die SBB zeigt, dass es anders geht. Christof Zogg, Starticket

E-Commerce muss noch viel genauer auf Mobile First ausgerichtet werden, um die Conversion zu verbessern. Nathan Lauber, Nespresso Suisse

Mit dem Smartphone geschieht der Ticketkauf just-in-time, viel spontaner und einfacher. Markus Basler, SBB

Viele Unternehmen bekennen sich zum Schlagwort Mobile First, die Umsetzung überzeugt aber nicht immer. Responsive-Websites machen oft Kompromisse. Eine native Mobile-App kann dagegen ein User Interface sein, das für die mobile Ausführung von genau auf den Prozess zugeschnittenen Funktionen gemacht ist und das Potenzial der Geräte voll ausschöpft. Der mit Apps verbundene Aufwand sei durch die jüngeren technischen Entwicklungen gesunken. Allerdings ist das Entwickeln einer App nur das eine, sie zu vermarkten das andere – und das ist in der Regel noch schwieriger als bei einem Onlineshop.

Eine responsive Website ist je nach Anwendungsfall erst eine halbe Mobile-Lösung. Christof Zogg, Starticket

Wir entwickeln Mobile First, aber im Browser muss es immer noch anständig aussehen. Marcel Schaniel, Möbel Pfister

Im Bereich Mobile sind die Technologien heute viel weiter. Wir werden unsere nativen Apps durch hybride Apps mit Responsive-Web- Elementen ersetzen. Daniel Röthlin, Ex Libris

Mobile Apps können Kaufprozesse stark vereinfachen und dadurch kundenbindend wirken.

Zwei aktuelle Themen dürften für die weitere Entwicklung von Mobile Commerce in der Schweiz von grosser Bedeutung sein. Das erste ist die Verbreitung und Akzeptanz von Payment Apps, die in der Schweiz durch rivalisierende Parteien gebremst werden. Das zweite ist die noch in diesem Jahr anstehende Entscheidung der SBB zur definitiven Einführung von «EasyRide» auf SBB Mobile per Anfang 2020 [20]. EasyRide ist eine App-basierte Funktion für automatisches Ticketing nach dem Vorbild des Pioniers Fairtiq. Einfache Check-in- und Check-out- Swipes am Reisebeginn und -ende ersparen das vorgängige Kaufen eines Streckenbilletts. Abrechnung und Bezahlung erfolgen automatisch und im Nachhinein zum besten Tarif – Seamless Payment par excellence. Aufgrund der millionenfachen Verbreitung und Anwendung der SBB-App könnte EasyRide automatisierte Einkaufsund Bezahlvorgänge zu etwas Alltäglichem machen und vielen weiteren Innovationen den Raum öffnen. Das können sich zumindest viele Teilnehmer im Studienpanel vorstellen, wie Abb. 22 zeigt.

6.4 Chinas Vorsprung im Mobile Commerce

Wird über Mobile Commerce gesprochen, fällt recht bald das Stichwort China, wo alles viel weiter sei. Und in der Tat, wer sich ein wenig damit beschäftigt, wird schnell feststellen, dass der Alltag in China sehr viel stärker von der Anwendung des Smartphones durchdrungen ist, dass die Menschen weniger Berührungsängste haben, dass Personalisierung viel weiter entwickelt ist und vieles einfacher zu sein scheint.

In einigen Interviews wurde beim Thema Mobile erörtert, wo diese Unterschiede herrühren. Aus den zusammengetragenen Argumenten und ergänzenden Recherchen wird klar, dass es die völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen sind, die in China und in Mitteleuropa zu so unterschiedlichen Adaptionen derselben Technologien geführt haben: Es sind die fehlende Legacy, die Herausbildung einer kleinen Gruppe sehr grosser Plattformen mit unvergleichlich breitem Servicespektrum sowie ein unbekümmerter Umgang mit Daten.

Wenn hier von fehlender Legacy gesprochen wird, sind damit nicht nur veraltete IT-Systeme gemeint, sondern das gesamte Wirtschaftssystem. Dazu ist es sinnvoll, sich die wirtschaftliche Entwicklung der letzten 40 Jahre kurz vor Augen zu führen: 1978, dem Jahr des Beginns der wirtschaftlichen Reformen im Entwicklungsland China, betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemäss Daten der Weltbank pro Kopf in US$ nicht einmal 2 % des Werts von 2018. 20 Jahre später, als das World Wide Web begann durchzustarten und als Tencent gegründet wurde (ein Jahr vor Alibaba), lag das BIP je Kopf unter 10 % des Werts von 2018. Weitere zehn Jahre später, 2008, als Mobile Commerce seinen Anfang nahm, waren es noch weniger als 40 %. Praktisch alles, was heute den Konsumgütermarkt und E-Commerce in China prägt, ist überhaupt erst in den letzten 20 Jahren entstanden. Die Industrie war noch ganz in ihren Anfängen: Es gab keine ausgereiften Branchenstrukturen, Distributionssysteme, IT- und Logistikinfrastrukturen wie in Mitteleuropa. Dasselbe gilt für den Detailhandel, den Anteil der Bevölkerung, der überhaupt an der modernen Konsumwelt teilhaben konnte, und die IT-Ausstattung der Haushalte.

Als hingegen im bereits konsumverwöhnten Mitteleuropa der PC, die Internet-Economy und das Smartphone aufkamen, ergänzten sie die bestehenden Strukturen. Deren Erneuerung oder Verdrängung geschieht viel langsamer und wird weiterhin von Widerständen begleitet. In China befeuerte die Entwicklung den Frühling nach einem langen Winter und trug zur schlagartigen Entfaltung der Wirtschaftskraft bei. Der Markt ist riesig, E-Commerce wächst überproportional, Anbieter investieren und versuchen, mit Innovationen noch stärker davon zu profitieren.

Unzählige neu gegründete Unternehmen, die etwas herstellen, wie sollten sie ihre Produkte in China an die Konsumenten bringen? Es gibt keine ansatzweise ähnlich einfachen Kanäle wie diejenigen der grossen Internetplattformen. Bei diesen entfalteten die Netzwerkeffekte ihre volle Kraft. Es entstand ein Oligopol einiger weniger, sehr grosser Plattformen. Ausgehend von einem Dienst – bei WeChat war das ein Chat-Service – ergänzten sie immer mehr Dienste unter demselben Dach und Account. Studienteilnehmer sagen den chinesischen Onlinemarktplätzen nach, sich viel stärker um die Belange ihrer Anbieter zu kümmern, als das im Westen der Fall ist. Integrierte Benutzeridentifikation und Zahlungsdienste sind für die dortigen Anbieter grosse Erleichterungen. Dasselbe gilt für integrierte ERP- oder CRM-Funktionalität, Anbindungen an Logistikdienste und Finanzdienstleistungen. Markenanbieter können ihr spezifisches Erscheinungsbild viel freier umsetzen. Und die Marktplätze setzen die gewonnenen Daten nicht ein, um ihre Anbieter mit eigenen Angeboten zu konkurrenzieren, wie es Amazon und Galaxus nachgesagt wird. Die Beziehungen zwischen Anbietern und Plattformen seien symbiotisch, sagt ein Gesprächspartner.

Für ein KMU in China ist es selbstverständlich, über WeChat zu vertreiben, es baut keinen eigenen Vertrieb auf. Markus Basler, SBB

Tmall und WeChat sind sehr markenfreundlich und verlangen eher weniger Kommission als die hier relevanten Onlinemarktplätze. Studienteilnehmer

In China gibt es viel weniger Desktops. Der Infrastruktur-Vorteil bei uns ist bei der Entwicklung von Mobile ein Nachteil. Studienteilnehmer

In Asien sind die Plattformen deshalb so erfolgreich, weil man die einzelnen Anbieter nicht kennt und ein Vertrauensmangel besteht. Lorenz Weber, PCP.COM-Gruppe

In China kaufen die Konsumenten gewöhnlich nicht auf individuellen Onlineshops, sondern in einem digitalen Ökosystem wie Alibaba und Tencent oder auf einer vertikalen Plattform. Christopher Tscholl, FREITAG lab.

Für die Nutzer stellt sich das ähnlich dar. Für viele ist das Smartphone der einzige eigene Computer – deshalb sind alle Lösungen gänzlich auf das Handy ausgerichtet. Der Konsumgütermarkt hat viel weniger vertraute Produktund Handelsmarken wie der hiesige mit Nestlé und Migros. Es gibt keine breite, differenzierte Anbieterlandschaft mit starken, voneinander unabhängigen Spezialisten für verschiedene Themen wie im Westen. Die Welten von Alibaba und Tencent geben Orientierung, integrieren unter einem Benutzer-Account alle Belange, machen alles sehr einfach. Reichweitenstarke Alternativen fehlen.

Datenschutz? Datennutz, das ist die tägliche Erfahrung der Anwender. In der Personalisierung gelten die chinesischen Plattformen den westlichen als überlegen. Die chinesischen Nutzer zeigen sich in Bezug auf den Umgang mit ihren Daten als unbedarft.

Bei Tmall hat jeder Nutzer eine andere Startseite, jeder sieht andere Produkte. Bei der Relevanz der angezeigten Inhalte sind die asiatischen Plattformen Europa weit überlegen. Kilian Eyholzer, Victorinox

China ist ein Staat, der die Digitalisierung viel entschiedener vorantreibt als die Schweiz oder die EU. Studienteilnehmer

Die Machtbündelung bei diesen Plattformen, die Zusammenführung von Personendaten aus praktisch sämtlichen Lebensbereichen, das Missbrauchs- und Überwachungspotenzial, all das sind wohl kollaterale Nebeneffekte dieser Entwicklung. Es ist anzunehmen, dass diese Mechanismen von staatlicher Seite durchschaut und gefördert werden. Immer wieder ist zu hören und zu lesen, dass chinesische Behörden vollen Zugriff auf die Daten der Plattformen hätten. Das erscheint im westlichen Bild von China plausibel. Es ist bekannt, dass USA und andere Länder der westlichen Welt ebenfalls Zugriff auf Plattformdaten haben – immerhin sind das Rechtsstaaten mit Gewaltenteilung. Datenreichtum fällt auf den östlichen und westlichen Plattformen gleichermassen an. In beiden Teilen der Welt kommt er der Bevölkerung in Form attraktiver Angebote zugute. In China könnte er darüber hinaus für eine weitgehende staatliche Kontrolle genutzt werden. Im Westen ist die Parallelnutzung wohl primär auf Kommerzialisierung und Gewinnmaximierung ausgerichtet.

Die Rahmenbedingungen für Chinas Vorsprung im Mobile Commerce sind für Europa nicht wünschenswert. Aber in Bezug auf die schnelle Adaption der Technologie könnte sich Europa an China ein Vorbild nehmen.

Der Vergleich zeigt die innere Logik des Mobile-Commerce- Erfolgs in China. Die lässt sich nicht auf die westliche Welt übertragen. Und chinesische Anbieter werden ihr Modell auch nicht einfach nach Europa exportieren können. Dafür sorgt auch ein rechtlicher Rahmen wie die europäische Datenschutzgrundverordnung DSGVO.

In der westlichen Welt ist eine derart umfassende Plattform wie WeChat kaum vorstellbar. Am ehesten hätte Facebook das Potenzial dazu. Francesco Vass, ricardo.ch

Asiatische Mobile-Commerce-Konzepte sind anders als die europäischen, aber nicht unbedingt überlegen. Kilian Kämpfen, Scout24 Schweiz

6.5 FREITAGs China-Expansion, Interview mit Christopher Tscholl Christopher Tscholl hat beim Taschenhersteller

Christopher Tscholl hat beim Taschenhersteller FREITAG schon viele Rollen eingenommen. Im Projekt China Market Expansion nimmt er die Holacracy-Role [21] «Domestic Virtual Commerce Developer» ein. 2018 stand ganz im Zeichen von FREITAGs China-Online-Offensive. 2019 ging Anfang Juni der erste FREITAG-Onlineshop auf Tmall live. Weitere Shops auf anderen Plattformen sollen folgen. Zur China-Offensive gehören auch die Gründung einer eigenen Niederlassung in Shanghai und der Aufbau eines Lagers in China, von dem aus sowohl das Wholesale- Geschäft als auch die Online-Direktkunden beliefert werden. Selbst eine Fotostation wurde dort installiert – um die für den chinesischen Onlineverkauf bestimmten FREITAG-Unikate zu fotografieren. Das Gespräch mit Christopher Tscholl führte Ralf Wölfle. Herr Tscholl, seit einigen Jahren ist China ein Hot Topic auch im E-Commerce. Einerseits als Zielland für westliche Produkte, andererseits, weil E-Commerce in China so viel weiter sein soll.

Inwiefern ist E-Commerce in China anders als in der Schweiz? E-Commerce findet in China kaum in individuellen Online shops statt, sondern primär auf den umfassenden, digitalen Plattformen. Die bekanntesten werden von den beiden Tech-Riesen Alibaba und Tencent geführt. Mit einem Kundenkonto und hinterlegtem Zahlungsmittel ist das Shopping auf so einer Plattform sehr bequem. Daneben gibt es auch vertikale Plattformen, kleinere und nischigere, die spezielle Zielgruppen ansprechen, z. B. designaffine Leute.

Heisst das, es gibt unter freitag.cn gar keinen Onlineshop? Das ist korrekt und gilt für China selbst. Aber cross-border bestellen chinesische Kunden seit vielen Jahren auf unserem Shop freitag.ch. Dort haben wir zwischenzeitlich auch die chinesische Sprache eingeführt. Denn es gibt durchaus Kunden, die lieber auf der Original-Marken-Website einkaufen wollen und die Mehrkosten beim Versand auf sich nehmen. Darauf haben uns unsere chinesischen Partner aufmerksam gemacht. Unsere Community und auch die Medien schätzen das sehr. Und es verbessert die Conversion im Shop.

Warum haben Marken in China weniger Berührungsängste vor Plattformen? Die digitalen Marktplätze sind in China unglaublich gut etabliert und der Traffic ist enorm. Bei den marktführenden Plattformen bewegt er sich im dreistelligen Millionenbereich, das kann eine Marke nicht ignorieren. Um auf dem Marktplatz zu verkaufen, muss ein in China lizenziertes Unternehmen seine Marke auf der Plattform registrieren und verschiedene Nachweise wie zum Beispiel ein Echtheitszertifikat für die Trademark erbringen. Sind die formalen Voraussetzungen einmal erfüllt, gehen chinesische Marktplätze schnell auf Bedürfnisse der Anbieter ein. Sie bieten verschiedene Dienstleistungen an, die man adhoc einkaufen kann. Das geht über Berichterstattungen von eigens engagierten Key Opinion Leaders, die ihre Erfahrungen über das Produkt teilen, bis hin zu Live-Stream-Verkaufsshows, zum Beispiel für einen Produkt-Launch.

Ist es demnach einfach, als Schweizer Anbieter in China Onlinebusiness zu lancieren? Das ist keineswegs trivial. Vor allem muss die Marke in China Zugkraft haben. Wie in allen Märkten begann FREITAGs Weg auch in China mit dem Aufbau von stationären Verkaufspunkten. Jetzt ziehen wir ein nationales E-Commerce-Angebot nach, um es für die Kunden einfacher zu machen. Die Preise werden transparent, weil keine zusätzlichen Zollgebühren mehr dazukommen. Ausserdem gibt es eine Reihe von Voraussetzungen, um auf den Plattformen selbst anbieten zu können. Man muss als Unternehmen eine chinesische Lizenz haben, ein chinesisches Bankkonto und allerlei Papiere vorlegen, z. B. zum Ursprung der Ware. Eine Eintragung der Marke ist in China zwingend notwendig. Es gibt zwischenzeitlich aber auch Markteintrittsmodelle, bei denen man nicht selbst in China sein muss, z. B. über Tmall Global.

Als Holacracy-Unternehmen denken Sie in Rollen: Welche Rollen braucht es vor Ort, um in China professionell anbieten zu können? Dazu benötigt es all die Rollen, die wir auch in Zürich für unseren eigenen Onlineshop brauchen: E-Commerce-Spezialisten und solche für die Onlinekommunikation, ausserdem einen skalierbaren Kundendienst, denn chinesische Kunden stellen gerne vor dem Kauf noch Fragen via Chat. Dazu kommen Texter und Grafiker sowie jeweils ein Account-Manager, der mit dem Headquarter kommuniziert und die KPIs überwacht. Mit einer lokalen PR-Agentur zusammenzuarbeiten kann auch sinnvoll sein.

Für all das kann man auch auf Tmall-Partner (TP) zurückgreifen. Das sind von Alibaba zertifizierte Webagenturen, die so ein Team zur Verfügung stellen. Der TP und die Marke definieren die Ziele. Der TP wird dann mit einem festgelegten, prozentualen Umsatzanteil vergütet, neben einer monatlichen Gebühr je nach Teamgrösse.

Und natürlich braucht man einen professionellen Logistikdienstleister für den chinesischen Markt – und noch einen lokalen Buchhalter, der sich mit den Behörden auskennt.

Wie launcht man eine Marke auf Tmall? Als alles eingerichtet war, sind wir mit einem Soft-Opening gestartet, also noch ohne aktive Kommunikation gegen aussen. In dieser Phase sind wir jetzt bei Tmall. Wir experimentieren mit verschiedenen Traffic-Massnahmen, testen die Prozesse, sammeln Erfahrungen im Kundendienst und optimieren das Design. Nach ein paar Wochen oder Monaten, wenn alles ausgereift ist, folgt das Grand-Opening. Da gibt es beim Aufwand keine Grenzen. Alibaba will mehr sehen als ein paar Posts auf den eigenen Kanälen. Am liebsten haben sie, wenn für das Grand-Opening ein exklusiv für Tmall entwickeltes, limitiertes Produkt hergestellt wird – vorgestellt in einem Live-Stream-Event aus einer eigenen Offline-Location. Je mehr sich eine Marke ins Zeug legt, desto grosszügiger ist Alibaba in den ersten Tagen bei der Zuteilung von «Gratis-Traffic».

Wie ist die Kundenresonanz nach den ersten Tagen? Können Sie dazu schon etwas sagen? Erstmal bin ich froh, dass die richtigen Unikate bei den richtigen Kunden angekommen sind – das ist bei uns ja ein sehr herausfordernder Prozess. Das erste Reporting von unserem TP hat mir auch Freude bereitet. Es enthält auch einige KPIs, die wir in Zürich noch nicht betrachtetet haben. Einer davon sind die Verkäufe, die aus Chat-Anfragen kommen. Der Mobile-Anteil liegt bei 95 %, die Conversion ein wenig über 2 % und die Verkäufe lagen zum Start gleich über unserer Prognose. Die Arbeit fängt nun aber erst recht an.

Sie sagten eingangs, Konsumenten in China verhalten sich anders als bei uns. Können Sie uns Beispiele nennen? Die Auswahl eines Produktes wird stärker von der Meinung anderer oder dem Image der Marke beeinflusst als in anderen Ländern. Influencer und Feedbacks früherer Käufer sind sehr wichtig. Auch fragen die Chinesen gerne vor dem Kauf etwas nach. Das setzt voraus, dass der Kundendienst auf einem hohen Level geschult ist, insbesondere bei einer Marke, die ganz bestimmte Werte vermitteln will. Auch die Anforderungen an Produkt-Detailbilder sind im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch.

Sie sind nun öfters in China gewesen: Wie schwierig ist es für Schweizer, sich in China und den dortigen Verhältnissen zurecht zu finden? Chinesen sind im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern von der Mentalität her Schweizern am nächsten. Wenn man aber einen bestimmten Zeitplan einhalten will, empfehle ich, den Aufbau der Kanäle und Prozesse direkt vor Ort aufzugleisen. Die Nähe zum Projekt und zu den Menschen beschleunigt ein Projekt enorm. Was kann FREITAG bis zum Jahr 2025 in China erreichen? China soll im Jahr 2025 einer der Top-5-Märkte für FREITAG sein. Dazu wird FREITAG nicht nur auf verschiedenen Onlineplattformen präsent sein, sondern auch über etwa 40 markenkonforme stationäre Wiederverkäufer. Ausserdem denke ich, dass wir bis dahin zwei bis vier eigene F-Stores haben werden.

6.6 Conversational Commerce und digitale Assistenten

Neue Technologien werden kurzfristig oft überschätzt und langfristig unterschätzt – dieses Bonmot fiel beim Stichwort Voice auch in einem Interview. Es zeigt, dass hier wieder einmal Technologien aufkommen, von denen man ziemlich sicher annehmen kann, dass sie eine Bedeutung haben werden, aber nicht weiss, welche. Dementsprechend fallen auch die Einschätzungen zu Conversational Commerce – E-Commerce mit text- oder sprachbasierter Interaktion zwischen dem IT-System des Anbieters und den Konsumenten – sehr unterschiedlich aus. Was man sich davon verspricht ist eine personalisierte Interaktion mit Kunden, die automatisiert, skalierbar, vielsprachig und jederzeit in einer definierten Qualität möglich wird.

Am konkretesten sind die Vorstellungen von Chatbots. Eine Vorstufe dazu ist «eedi», der Clickbot von geschenkidee. ch. Hier werden in einem interaktiven, visuellen Dialog eine Reihe von aufeinander abgestimmten Parametern abgefragt, die die Eignung möglicher Geschenke für einen Anlass eingrenzen und schlussendlich zu Vorschlägen führen, die eine überdurchschnittliche Conversion erzielen. Da die Antworten bei eedi immer klickbar sind, braucht der Anwender keinen Text einzugeben und geschenkidee. ch muss keine Texteingaben interpretieren.

Auch zu textbasierten Bots sind Erfahrungen verfügbar. Ihr Vorteil ist, dass die Eintrittsschwelle für Chat-geübte Nutzer sehr niedrig ist. Es gibt aber viele Lösungen, die nicht überzeugen und auch einige Studienteilnehmer haben das Thema nach ersten Versuchen wieder ad acta gelegt. Häufig unterschätzt werden die Anforderungen, die AI-basierte Bots stellen, also solche, die auf künstlicher Intelligenz beruhen. Vielen Entscheidern ist anfangs nicht bewusst, welche Datenmengen nötig sind, damit ein System aus ihnen lernen kann, und dass der Einlernprozess Ressourcen und Zeit benötigt.

Was nützt mir ein selbstlernendes System, das in sechs Jahren besser ist als heute? Samy Liechti, BLACKSOCKS

Chat wird 2025 sowohl im Service mit KI-basierten Bots als auch in der Beratung durch Menschen Standard sein. Erich Mühlemann, TUI Schweiz

Chat-Interaktion wird überschätzt – die Prozesse können sehr langwierig werden. Christof Zogg, Starticket

Das Potenzial wird vor allem im Service gesehen, unabhängig davon, ob künstliche Intelligenz im Spiel ist oder ob lediglich auf ein Set vorbestimmter Eingaben reagiert wird und vorprogrammierte Antworten gegeben werden. Wenn es gut gemacht sei, würden die Kunden das akzeptieren. Ein Anbieter spricht von einem Einsatz von Bots als Ergänzung zum personenbasierten Support.

Das Problem, zu wenig Daten und Transaktionen zu haben, um mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen voranzukommen, dürfte für die meisten Schweizer Anbieter zutreffen. Abgesehen davon sind diese Lösungen noch sehr teuer. Das limitiert bis auf Weiteres die Potenziale für die meisten Schweizer Anbieter.

Die Schweiz mit ihren Dialekten wird für automatisierte Voice-Interaktion noch für einige Zeit eine Herausforderung sein. Markus Basler, SBB

Ich finde Voice-Commerce interessant und glaube, dass sich das weiterentwickeln wird. Aber ich glaube nicht, dass das bis 2025 massenfähig sein wird. Lorenz Weber, PCP.COM-Gruppe

Die Verbreitung sprachbasierter Services hängt auch von der Entwicklung der künstlichen Intelligenz ab.

Das gilt erst recht für sprachbasierte Interaktion. Bei Voice-Interaktion kommt die Herausforderung der Spracherkennung hinzu. In der Schweiz wird das durch die Viersprachigkeit und die vielen Dialekte erschwert. Selbst das Verstehen von Ortsnamen für Verkehrsverbindungen ist im unruhigen öffentlichen Raum noch eine Herausforderung. In ruhigen Räumen funktionieren standardisierte Befehle, z. B. eine Wetterabfrage, gut. Bis zu einem intelligenten, semantischen Verstehen von Sprache in einem breiteren oder vielfältigeren Anwendungsbereich dürften dagegen noch Jahre vergehen. Es werden weltweit tätige Unternehmen sein, die diese Technologien entwickeln. Auf welche Weise sie ihre Funktionen anderen Unternehmen zugänglich machen, steht noch in den Sternen.

Verlockend an Voice ist, dass der Sprachdialog eine sehr natürliche Form expliziter Interaktion ist. Sie kann parallel zu anderen Tätigkeiten erfolgen, die dadurch nicht unterbrochen werden. Die Kommunikation über Voice verzichtet auf die Möglichkeiten der visuellen Kommunikation – die grosse Bereicherung des World Wide Web. Es könnte deshalb zu einer Aufteilung von Use Cases danach kommen, ob sie sich eher für eine sprachliche oder eine visuelle Kommunikation eignen – bis diese einmal miteinander kombiniert werden. In der Zwischenzeit ziehen smarte Lautsprecher in die Wohnungen ein. Viele Schweizer zeigten sich bei deren Aufkommen experimentierfreudig. Ob der Trend angesichts der damit verbundenen permanenten Audioabhörung anhält, muss sich noch zeigen.

Bei Voice kommt es auf den Use Case an: lässt er sich gut in einem Sprachdialog abbilden oder ist die visuelle Interaktion mit Touch schneller? Christof Zogg, Starticket

Interaktive Lautsprecher sind ja bereits in horrenden Stückzahlen verbreitet, es gibt viele Leute, die das einfach mal ausprobieren. Wenn mal ein passender Kundennutzen gefunden ist, startet Voice durch. Daniel Röthlin, Ex Libris

Mittelfristig kann man davon ausgehen, dass überall Sprache-verstehende- Geräte herumstehen. Christof Zogg, Starticket

In welchen Situationen ist Voice Commerce überhaupt nützlich? Die Studienteilnehmer sehen die Eignung primär für regelmässig benötigte Verbrauchsgüter oder andere Wiederholungskäufe. Bei sporadischen Einkäufen könnte die Interaktion, bis das richtige Produkt gefunden wird, zu umständlich sein. Produkte, die auf Basis visueller Eindrücke gekauft werden, fallen aus, was für grosse Teile des Mode- oder Einrichtungsmarktes gelten dürfte.

Um über Voice einkaufen zu können, bedarf es eines digitalen Assistenten, der die sprachbasierten Anweisungen mit einem dafür ausgelegten Prozess verknüpft. Am bekanntesten ist Amazons Alexa – in der Schweiz aber noch nicht offiziell verfügbar.

Ob der digitale Assistent zu einem konkreten Bedarf die Auswahl des Anbieters anstelle des Konsumenten selbst trifft, wird immer wieder angesprochen. Dieser Aspekt ist allerdings von der Interaktionsform Voice zu trennen. In Kapitel 8.1 wird auf den Aspekt der Auswirkungen von Voice Commerce und digitalen Assistenten für die Positionierung individueller Anbieter im Wettbewerb eingegangen.

Das disruptive Potenzial, das oft mit Voice Commerce verbunden wird, würde aus der Delegation von Entscheidungen z. B. an digitale Assistenten entstehen, nicht aus der Spracheingabe an sich.

Wenn Voice-Interaktion gesellschaftsfähig wird, wird es das nächste grosse Ding werden. Markus Basler, SBB

In den Gesprächen bleiben viele Fragen offen und werden etliche Bedenken und Zweifel an der Eignung sprachbasierter Einkaufsprozesse geäussert. Trotzdem glauben viele, dass Voice Commerce eine Bedeutung erlangen wird – allenfalls in einer längeren Perspektive als 2025. Das kommt auch in den Antworten zu zwei in Abb. 24 dargestellten Fragen zum Ausdruck, in denen zwei konkrete Funktionen digitaler Assistenten thematisiert werden.

6.7 Zugang zu Kunden

Der grösste Engpass im E-Commerce, der Zugang zu Kunden, sorgt jedes Jahr für Gesprächsstoff. Auch die Aussage, dass die Kosten für die dafür verfügbaren Services steigen, wurde erneut von fast allen Studienteilnehmern bestätigt.

Kundenzugang kostet Geld und wird tendenziell teurer, ob in der Akquisition oder der Kundenbindung. Erich Mühlemann, TUI Schweiz

Im Performance Marketing öffnet sich im Studienpanel die Schere zwischen Unternehmen, die die Kostensteigerungen der Instrumente kompensieren können, und denen, denen das nicht gelingt. Die Kompensation gelingt neben SEO-Massnahmen durch differenziertere Advertising- Strategien, Know-how-Aufbau, Tools zur Automatisierung und auch infolge von Wachstum und höheren Konversionsraten. Kampagnen werden auf spezifische, produkt- oder produktgruppenbezogene Kriterien ausgerichtet. Die verschiedenen Kanäle müssen flexibel genutzt und schnell umgewichtet werden, z. B. wenn sich die Preise infolge konkurrierender Kampagnen verändern. Das seien nicht alle Marketing-Leute gewohnt. Ein Teilnehmer bezeichnet die Situation als eine Katastrophe, es sei ein Stück weit ein Glücksspiel. Ein anderer sagt, man finde immer wieder Algorithmen und neue Wege, die Instrumente effektiver zu nutzen, sodass man trotz gestiegener Adwords-Kosten die Rentabilität halten könne. Verbessern würden sich auch die Touchpoint-übergreifende Zuteilung von Marketinggeldern, das Tracking von Customer Journeys und die Identifikation erfolgreicher Kontaktfolgen, was ebenfalls Effizienzsteigerungen ermögliche. Kleinere Anbieter tun sich allerdings mit den steigenden Anforderungen zunehmend schwer.

Ein Onlineanbieter braucht eine kritische Grösse, um den direkten Kundenzugang auf Dauer selbst zu schaffen. Stephan Widmer, Beliani

Je kleiner ein Anbieter, desto teurer ist es für ihn, den Zugang zu potenziellen Kunden herzustellen. Markus Naegeli, Canon Schweiz

Die Kostenentwicklung im Performance Marketing ist ein wirkliches Problem für jeden Anbieter. Studienteilnehmer Im Performance Marketing muss man extrem differenziert arbeiten, damit man nur dort Werbung macht, wo es sich lohnt. Marcel Dobler, Franz Carl Weber

Wir steuern Performance Marketing danach, was wir bereit sind, für zusätzlichen Umsatz auszugeben: rentabilitätsgetrieben, nicht wachstumsgetrieben. Marc Isler, BRACK.CH

Wenn ein Wettbewerber in Deine Themen investiert, können die CPCs sprungartig um 50 % steigen. Kilian Kämpfen, Scout24 Schweiz

Trotzdem, Performance Marketing ist nur begrenzt skalierbar. Das wirtschaftlich innerhalb eines Verfahrens erwerbbare Umsatzvolumen ist begrenzt. Ab einer gewissen Schwelle sinkt der Grenznutzen zusätzlicher Traffic- Einkäufe, was auch mit den begrenzten Suchvolumina und dem aktuellen Verhalten der Wettbewerber zu tun hat. Die befragten Unternehmen lösen das so, dass sie einen Grenzwert in Prozent vom erzielbaren Umsatz definieren, bis zu dem sie Traffic kaufen. Je nach Branche und Margensituation der Produktgruppe werden Grenzwerte zwischen 3 % und unter 20 % genannt.

Die Konsequenz daraus ist die Absicht, Bestandskunden besser zu pflegen und die Kundenbindung zu erhöhen, um sich in einem Segment als bevorzugter Anbieter in den Köpfen der Menschen einzunisten (vgl. auch Kapitel 3.7). Das Ziel ist alt, die typischen Massnahmen heissen CRM und Personalisierung, aber die Fortschritte sind gering. My Migros, ein von der Migros Aare als Pilotprojekt neu lancierter Onlineshop, setzt dafür auf Personalisierung als das identitätsstiftende Merkmal. Auf Basis von Cumulus- Daten berechnet und präsentiert der Onlineshop persönliche Einkaufsvorschläge, sortiert nach der Wahrscheinlichkeit, nach der die Artikel wieder benötigt werden.

Man kann My Migros als Teil eines im Panel breiter abgestützten Trends sehen, in dem es um die Suche nach expliziten Formen von andauernden Kundenbeziehungen geht. Prinzipiell sind Kundenbindungsprogramme wie Cumulus oder Supercard schon so etwas, aber diese werden im Einkaufsverhalten zu wenig erlebt. Gesucht werden Möglichkeiten für konkret erlebbare Vorteile. Dafür ergeben sich speziell im Umfeld von Mobile neue Möglichkeiten, weil Eingabevereinfachungen bis hin zu Seamless Payment eine Reihe vorgängig zu treffender Vereinbarungen erfordern. Einmal erledigt bewirkt das eine Wechselbarriere. Abb. 25 zeigt, dass vier Fünftel der Studienteilnehmer bis 2025 ein höheres Gewicht voreingestellter Anbieter- oder Produktpräferenzen erwarten.

Ganz oben auf der Ideenliste stehen Abonnemente mit spezifischer Ausrichtung, ein neues Schlagwort dafür heisst Subscription Economy: Flaschenpost hat ein Wein-Abo zum Kennenlernen neuer Weine, Beliani ein Möbel-Abo für moderne Nomaden und Galaxus ein Auto- Abo für sich periodisch ändernde Mobilitätsbedürfnisse. Pionier BLACKSOCKS bietet seit 20 Jahren flexible Abonnemente für Herrenwäsche und regelmässig benötigte Artikel wie weisse Hemden an. Dabei können Abos auch sehr niederschwellig angelegt sein, wie das sehr erfolgreiche Kundenbindungsprogramm Amazon Prime, das keinen festen Kaufzwang beinhaltet. Die zweite Frage in Abb. 25 zielt auf Modelle mit immer wieder anderen Vorteilen, die personalisiert mal auf Inspiration, mal auf Preisvorteile ausgerichtet sein können, in jedem Fall aber mehr Kraft entfalten sollten als Heute doppelte Superpunkte.

Seit Februar 2019 bieten wir unseren Kunden auch Nespresso-Kaffee- Abos an. Nathan Lauber, Nespresso Suisse

Fairtiq ist genial. Solche Lösungen werden die Adaption von Seamless Payment voranbringen. Stephan Widmer, Beliani

Wir machen keine «20 % auf alles»-Aktionen. Wir machen allenfalls mal gezielte Promotionen für geschlossene Gruppen. Kilian Eyholzer, Victorinox

Kundenbindungsprogramme bedürfen möglicherweise ohnehin einer Revitalisierung. In Verbindung mit Payment- Apps könnte ihre Anwendung für die Kunden deutlich einfacher werden (Abb. 26). Ihr Charme oder Nutzen müsste dazu noch etwas besser herausgearbeitet werden – die steigenden Kosten für den Zugang zu Kunden sollten dafür Motivation genug sein. Für Kunden am bequemsten sind gänzlich automatisierte Seamless-Payment-Lösungen, wie sie z. B. in Valoras avec app realisiert sind.

Es gibt eine Inflation an Kundenbindungsprogrammen, deren Nutzen für die Kunden sinkt. Christof Zogg, Starticket

In unseren Läden arbeiten wir an der Einführung eines neuen, mit Online verknüpften Kassensystems, um eine kanalübergreifende Sicht auf unsere Kunden zu haben. Kilian Eyholzer, Victorinox

Woran die Hälfte der Studienteilnehmer weiterhin nicht glaubt, sind Social Media oder Influencer als Ausgangspunkt für E-Commerce-Bestellungen (Abb. 27). Dabei nehmen Social-Media-Plattformen immer wieder neue Anläufe, Kaufmöglichkeiten zu integrieren. Zudem haben Social Media in den letzten Jahren stark an Bedeutung für den Kundenzugang gewonnen, nach Aussagen aus dem Studienpanel vor allem die bildbasierten Plattformen.

In der Reisebranche kann schon seit einigen Jahren beobachtet werden, wie die Book-on-Funktion immer mehr Verbreitung auf Metasuchmaschinen bekommt. Kunden können durch sie auf der Booking-Engine eines Anbieters buchen, ohne dessen Website aufzurufen. Bei Google for Jobs passiert etwas Ähnliches, dort wird über einen Apply-Button die Bewerbungsfunktion aus dem System des Personalvermittlers in die Google-Seite integriert. Die Herauslösung der Transaktion aus dem Kontext des Anbieters könnte sich auch einmal im Konsumgüterbereich etablieren.

Die «Book-on-Funktion», die wir aus Metasuchmaschinen in der Reisebranche kennen, wird auch bei anderen Vermittlern kommen. Kilian Kämpfen, Scout24 Schweiz

Ich glaube, dass Plattformen, die bisher nur den Kundenzugang vermitteln, immer weiter in die Transaktion vordringen. Matthias Fröhlicher, KOALA

Auch für die Zukunft glaube ich nicht, dass Social Media ein wesentlicher Bestellkanal werden. Erich Mühlemann, TUI Schweiz

6.8 Logistik

Logistik als Wettbewerbsvorteil in der Konkurrenz zu ausländischen Anbietern – dieses Thema wurde im E-Commerce Report Schweiz 2018 ausführlich erörtert [22]. In diesem Jahr erfolgt deshalb lediglich ein Update in Bezug auf aktuelle Beurteilungen und Entwicklungen. Was sich fortsetzt sind hohe Investitionen der Marktführer in eigene Infrastruktur für Lager und Intralogistik. Dazu gehören grosse Bauprojekte mit vielen zehntausend Quadratmetern Nutzfläche: Interdiscount und microspot. ch eröffneten 2018 in Jegenstorf ihr neues Logistikzentrum. Digitec Galaxus nahm im Mai 2019 in Dintikon ein zusätzliches Warenlager in Betrieb und kündigte gleich einen weiteren Neubau an. Auch die Competec- Gruppe startete in Willisau einen Neubau. Mit Decathlon, erst Ende 2016 online in der Schweiz gestartet und zwischenzeitlich mit den Filialen von Athleticum auch stationär engagiert, nahm im Kanton Waadt ein ausländischer Anbieter ein grosses Logistikzentrum in Betrieb. Die Ziele der Massnahmen sind, für ein möglichst grosses Sortiment mit später Bestellschlusszeit Next Day Delivery sicherstellen zu können und die Kosten dank höherer Automatisierung zu senken.

Der Fulfillment-Benchmark in der Schweiz ist bis auf weiteres Next Day Delivery.

Die Leistungsführer setzen auf Next Day Delivery – das können ausländische Anbieter im Regelversand nicht erreichen. In margenschwachen Branchen wie dem Medienhandel ist B-Post der Standard, wodurch sich die Lieferzeit auf zwei Tage verlängert. Same Day Delivery ist bei einigen Anbietern in Ballungsräumen verfügbar, kostet aber fast immer zusätzlich. Von Konsumenten wird die Lieferung am selben Tag wenig nachgefragt. Die Erfahrungen zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft der Kunden für beschleunigte Zustellungen gering ist.

Wenn wir ein Produkt am nächsten Tag liefern können, schlägt das deutlich auf den Umsatz durch. Dominic Blaesi, Flaschenpost Services

Wir haben letztes Jahr viel in unsere Logistik investiert, das hat bereits im Weihnachtsgeschäft 2018 deutliche Erfolge gezeigt. Maud Hoffmann, geschenkidee.ch

Konsumenten sind nicht bereit, einen hohen Mehrpreis für besonders schnelle Zustellung zu bezahlen. Marc Isler, BRACK.CH

Alle wollen Same Day Delivery, aber das wird die Ausnahme bleiben. Die Leute sind nicht bereit, die Selbstkosten dafür zu bezahlen. Marcel Dobler, Franz Carl Weber

Trotz hoher Investitionen und jahrelanger Optimierungen ist die Logistik noch nicht da, wo sie sein sollte. Für Konsumenten werden die Möglichkeiten zur Bestimmung des genauen Lieferzeitpunkts und dessen Zuverlässigkeit als noch nicht befriedigend angesehen. Die Versender empfinden die Preise der Zustellung als zu hoch, was auch mit den Formatdefinitionen der Post zusammenhängt.

Die Zustellung bestellter Waren wird immer flexibler werden. Patrick Bundeli, INTERSPORT Schweiz

Die Heimlieferung allein ist heute auch nicht mehr die Lösung. Man muss in der Lage sein, verschiedene Lieferpunkte in einem definierten Zeitfenster anzusteuern. Jordan Ballazini, MediaMarkt Schweiz

Bei den grössten Versendern und bei einigen Spezialisten ist zu erwarten, dass sie ihre Leistungstiefe in der Logistik weiter ausbauen. So wollen sie sowohl das Serviceniveau weiter verbessern als auch die Kosten senken. Dabei zeichnet sich ab, dass das Leistungsniveau in Ballungsräumen deutlich stärker steigen wird als auf dem Land.

Der Fulfillment-Wettlauf findet in den Ballungsräumen statt. Auf dem Land gilt das Leistungsniveau der Post.

Wenn wir wie geplant weiter wachsen, werden wir schneller liefern können – und das zu niedrigeren Kosten. Stephan Widmer, Beliani

Wir werden die Infrastruktur für unsere Eigenauslieferungen weiter ausbauen. Philippe Huwyler, coop@home

Mit unseren Eigenauslieferungen erreichen wir ein viel höheres Serviceniveau – und ab einer gewissen Dichte an Lieferpunkten ist es zudem noch günstiger als bei den Paketdienstleistern. Tobias Schubert, Farmy

Das Fulfillment ist in der Schweiz zentralistisch organisiert. Die beiden grossen Lebensmittelversender betreiben je zwei Logistikzentren, alle anderen nur eins. Diese Struktur beinhaltet, dass Paketdienstleister im Nachtsprung grössere Distanzen überwinden, um am nächsten Tag regional ausliefern zu können. Obwohl die Studienteilnehmer davon ausgehen, dass sich die Regellieferzeit bis 2025 nicht unter einen Tag verkürzt, beschäftigen sich einige mit den Möglichkeiten einer eigenen, dezentralen Verteilung. Erste Unternehmen arbeiten bereits mit dezentralen Hubs. Von ihnen aus erfolgt die regionale Verteilung mit kleinen Fahrzeugen, nachdem zuvor die fertig kommissionierten Sendungen mit grossen Lastwagen vom Logistikzentrum angeliefert wurden. Die Hubs erfüllen lediglich eine Umschlagsfunktion, eröffnen aber auch ein Potenzial für die Zusammenführung von Sendungen aus verschiedenen Quellen.

Wenn eine Fahrplan-Auslieferung wie bei Picnic oder Miacar einmal ausgebaut ist, könnte man damit auch ein Buch ausliefern. Solche Konzepte könnten Differenzierungsmerkmale gegenüber ausländischen Anbietern sein. Daniel Röthlin, Ex Libris

Die Logistik im E-Commerce wird sich noch stark verändern. Es wird nicht mehr alles über eine zentrale Auslieferung gehen. Studienteilnehmer Im Bereich lokaler Auslieferungen gibt es unzählige Initiativen und Startups, aber es fehlt die übergeordnete Koordination. Francesco Vass, ricardo.ch

Schon wegen der Verschärfung der künftigen Verkehrsentwicklung werden andere Lösungen für die Warenverteilung im lokalen Umfeld kommen. Urs Schumacher, Le Shop Die Dichte der Abladepunkte muss höher und die Kosten der letzten Meile müssen niedriger werden. Dann werden sich die Kosten des Lebensmittel-E-Commerce reduzieren lassen. Philippe Huwyler, coop@home

Same Day Delivery, zumindest als zuschlagspflichtige Bestelloption, damit rechnen mittelfristig doch etliche Studienteilnehmer und beschäftigen sich damit, wie das bewerkstelligt werden könnte. Abb. 28 zeigt die Einschätzungen zu zwei Aspekten in diesem Kontext: Arbeiten mit dezentralen Lagern – das können auch Filialen sein – und Auslieferungen im lokalen Umfeld, typischerweise durch Velokuriere oder kleine Elektrofahrzeuge.

Next Day Delivery wird 2025 absolut Standard sein, in Ballungsräumen wird wahrscheinlich auch Same Day angeboten. Reto Senti, PKZ Burger-Kehl

Die Kunden, die unsere 3-Stunden-Express-Lieferung einmal genutzt haben, sind anschliessend viel treuere Kunden als andere. Lorenz Weber, PCP.COM-Gruppe

Fulfillment aus Filialen ist prozessseitig ein Horror. Marcel Dobler, Franz Carl Weber

STEG Electronics nutzt bereits seine 15 Filialen, um in deren Umgebung Bestellungen binnen weniger Stunden am gleichen Tag auszuliefern. Auch andere Unternehmen arbeiten daran, auch wenn das logistisch in den derzeitigen Strukturen noch nicht effizient abgewickelt werden kann. Ship from Store kann eine Lösung sein, wenn Ware im regionalen Umfeld sehr schnell zugestellt werden soll oder wenn ein Artikel im Zentrallager nicht mehr verfügbar ist – in der Modebranche ein relevantes Thema. Die Alternative zum Versand von Artikeln aus einem eigenen Lager ist das Streckengeschäft. Das wird bisher primär bei virtuellen Sortimenten praktiziert, also bei Verkaufsartikeln, die nicht selbst bewirtschaftet werden (vgl. Kapitel 5.2). Ein Argument für Streckengeschäfte könnte aber auch die Verkürzung der Lieferzeit sein, wenn dadurch regional ausgeliefert werden kann. Zalando hat damit in Deutschland begonnen. Grundsätzlich kämen alle Grosshändler und Filialisten mit ihren zentralen und lokalen Lagern dafür infrage, sofern sie entsprechende Prozesse einrichten würden. Im B2B-Bereich werden solche Formen der Zusammenarbeit bereits praktiziert.

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