2 B2C-E-Commerce Anfang 2019 in der Schweiz
2.1 Volumen und Marktanteil online bestellter Waren, Anteil ausländischer Anbieter
Auf 9.5 Mrd. CHF beziffern der Verband des Schweizerischen Versandhandels VSV und GfK Switzerland den Wert der 2018 im Online- und Distanzhandel bestellten Waren mit Empfängeradresse in der Schweiz [5]. Auf weitere 250 Mio. CHF wird der Wert der Onlinebestellungen geschätzt, die Schweizer und Schweizerinnen von ausländischen Anbietern an eine grenznahe Abholstation senden lassen und selbst in die Schweiz einführen. Die insgesamt 9.75 Mrd. CHF liegen mit gleicher Steigerungsrate wie im Vorjahr um 10 % über dem entsprechenden Vorjahreswert. Im Vergleich zu dem von der GfK für 2018 geschätzten Gesamtvolumen des Detailhandels in der Schweiz in Höhe von 91.3 Mrd. CHF, beträgt der Wert der Onlinebestellungen im In- und Ausland 10.7 %. Je nach Branche variiert der Wert zwischen rund 2 % bei Lebensmitteln und 33 % bei Heimelektronik.
In den genannten 9.75 Mrd. CHF sind Bestellungen in Höhe von 2.15 Mrd. CHF bei ausländischen Anbietern enthalten, Lieferungen an grenznahe Abholstationen eingeschlossen. Damit liegt der Wert für 2018 um 16.2 % über dem des Vorjahres. Mit 22 % geht gut ein Fünftel der Schweizer Onlineausgaben zu ausländischen Anbietern.
In den zurückliegenden fünf Jahren seit 2013 ist das Volumen der Schweizer E-Commerce-Ausgaben im Ausland um etwa 115 % gestiegen [6]. Im gleichen Zeitraum haben die Umsätze der Schweizer B2C-Online- und Distanzhändler lediglich um 49 % zugelegt. Das E-Commerce- Volumen über alle Anbieter wuchs in diesen fünf Jahren um 51 %. Die Entwicklung zeigt, dass ausländische Anbieter weiterhin stark überproportional vom E-Commerce- Boom in der Schweiz profitieren und substanziell Marktanteile gewinnen.
Was die Einschätzungen des Studienpanels zum Wachstum des E-Commerce in der Schweiz angeht, zeigen die Zahlen über den Fünfjahreszeitraum, dass die Teilnehmer im Jahr 2013 das Wachstum für die bevorstehende Fünfjahresperiode eher überschätzt haben [7].
Vergleicht man die von VSV/GfK vorgelegten Zahlen mit der Entwicklung in Deutschland, so wuchs der E-Commerce mit Waren dort 2018 etwas schwächer als in der Schweiz, nämlich um 9.1 % auf 53.3 Mrd. EUR. Dies geht aus Zahlen hervor, die der Handelsverband Deutschland HDE für 2018 publizierte [8]. Der Marktanteil des E-Commerce mit Waren ist bei unserem nördlichen Nachbarn mit 10.1 % erstmals etwas niedriger als in der Schweiz. Ein wesentlicher Unterschied der Märkte besteht darin, dass der deutsche Einzelhandel insgesamt im Jahr 2018 einen Umsatzzuwachs von 2.5 % auf ein Allzeithoch von 527 Mrd. Euro erzielte [9]. Damit schlugen sich die Onlinezuwächse nicht so stark im Onlineanteil nieder. Der Schweizer Detailhandel dagegen verfehlte 2018 nicht nur das Vorjahresniveau, sondern liegt seit zehn Jahren unter dem Wert des Jahres 2008. Das Allzeithoch des Schweizer Detailhandels lag im Jahr 2010 bei 96.2 Mrd. CHF, 5 % über dem aktuellen Wert. Der Hauptgrund für die unterschiedliche Entwicklung des Detailhandels in den beiden Ländern ist die Währungsentwicklung: Nachdem der Euro seit 2011 im Vergleich zum Schweizer Franken zweimal stark abgewertet hat, stieg der Preisvorteil bei Auslandseinkäufen stark an und beförderte den Einkaufstourismus – stationär und online. Die Preisdifferenz hat sich zwischenzeitlich wieder etwas verringert, auch weil die Preise in der Schweiz seit 2011 in vielen Warengruppen stagnieren oder sogar sinken. Beim Vergleich der Zahlen muss beachtet werden, dass die Erhebungsverfahren in den Ländern nicht identisch sind.
2.2 Quantitative Erwartungen zu E-Commerce und Auslandsanteil im Jahr 2019
Für das laufende Jahr 2019 erwarten die Studienteilnehmer ein weiteres Wachstum der E-Commerce-Umsätze in ihrer Branche (Abb. 4) – erstmals ohne Ausnahme. Über zwei Drittel gehen sogar von einem erheblichen Wachstum von 5 % bis 15 % und mehr aus. Vier Personen, die ein Wachstum von 15 % oder mehr erwarten, kommen aus der Mode-, Sport-, Einrichtungs- oder Generalisten-Branche
Ich rechne mit einer Beschleunigung des E-Commerce-Wachstums. Francesco Vass, ricardo.ch
Allerdings werden die Umsatzzuwächse auch in den kommenden Jahren überproportional ins Ausland fliessen. Abb. 5 zeigt die Antworten auf die Frage, wie sich die Marktanteile ausländischer E-Commerce-Anbieter in den nächsten zwei bis drei Jahren entwickeln werden. Bei den sieben Teilnehmern, die keine Steigerung erwarten, ist der grenzüberschreitende E-Commerce in der Branche in der Regel noch generell unbedeutend, etwa bei Lebensmitteln oder im öffentlichen Verkehr. Ein Viertel der Antwortenden erwartet dagegen für Schweizer Anbieter starke Marktanteilsverluste von 2 % oder mehr. In drei der neun Fälle kommt die Antwort aus der Modebranche, die anderen verteilen sich auf verschiedene Warengruppen. Dabei kann sich der Kaufkraftabfluss auch zu Generalisten wie Amazon oder Aliexpress verschieben.
Die Umstände des ausländischen Wettbewerbs unterscheiden sich stark nach Branche. Und es könnte gefährlich werden, wenn man sich zu sicher fühlt. Im öffentlichen Verkehr zum Beispiel könnte per 1. Januar 2020 die so genannte Marktöffnung stattfinden. Das würde heissen, dass jeder Tickets verkaufen kann, nicht nur konzessionierte Verkehrsbetriebe. SBBs virtueller Fahrkartenschalter mit seiner enormen Reichweite in der Schweiz könnte für Google, Facebook oder andere internationale Plattformen ein attraktives Angriffsziel sein.
Ich denke, dass bis 2025 mindestens eine globale Plattform ÖVTicketing in ihrer App anbietet, z.B. als Ergänzung zu ihrem Kartendienst. Markus Basler, SBB
Der Markt für Classifieds, elektronische Kleinanzeigen, ist ebenfalls noch eine überwiegend nationale Angelegenheit. Zwar wird die Partnervermittlung von ausländischen Anbietern dominiert und in der Stellenvermittlung bahnt sich übermächtig erscheinende Konkurrenz aus dem Ausland schon länger an. Vor diesem Hintergrund hatte die Schweizer Wettbewerbskommission dem zu einer marktbeherrschenden Stellung führenden Schulterschluss von Tamedia und Ringier schon vor einiger Zeit zugestimmt. Die Bewährungsprobe für jobs.ch könnte nun unmittelbar bevorstehen. Nachdem Google for Jobs im Mai 2019 auch in Deutschland startete, wird über den Eintritt auch in der Schweiz spekuliert.
Dem horizontalen Marktsegment von anibis.ch und tutti.ch widmet sich nun auch der Facebook Marketplace, neben den unzähligen weiteren, von Benutzern lancierten Buy-and-Sell-Gruppen auf Facebook. Hier stellt sich die Frage, ob Facebook dank der intimen Kenntnisse über die Nutzer das Matching mit aktuellen Angeboten so automatisieren kann, dass Personen in ihrem Newsfeed genau die für sie passenden Opportunitäten präsentiert bekommen – und vielleicht auch einmal direkt kaufen und bezahlen können.
Der Onlinehandel mit Lebensmitteln ist noch eine rein nationale Angelegenheit. Das heisst aber nicht, dass sich das nicht recht schnell ändern könnte. Vor einigen Jahren war über einen Markteintritt von Amazon Fresh spekuliert worden, was aber angesichts der Schwierigkeiten, die der Service in Deutschland hat, wieder abgeklungen ist. Dort wurde der holländische Lebensmittel-Pionier Picnic top of mind – in der Schweiz zwischenzeitlich nachgeahmt durch Migros Miacar. Picnic rollt sein in Regionen organisiertes Geschäftsmodell durch Multiplikation schnell aus: nach dem Proof of Concept in Holland seit 2018 auch im deutschen Rheinland.
An der Ausschreibung der SBB über rund 260 Kiosk- und Convenience-Standorte an Schweizer Bahnhöfen, aus der zwischenzeitlich Valora als Sieger hervorgegangen ist, sollen sich ebenfalls ausländische Anbieter beteiligt haben. Jürg Stöckli, ehemaliger Leiter des SBB Geschäftsbereichs Immobilien liess 2017 verlauten, dass er Amazon explizit eingeladen habe und dass Gespräche geführt worden seien [10]. Bei diesen Gesprächen könnte es auch um die ebenfalls ausgeschriebenen Presse- und Buchläden in Bahnhöfen gegangen sein. Auf einen Schlag gleich ein ganzes Filialnetz an Top-Standorten zu erhalten, kann für einen ausländischen Markteinsteiger schon eine Verlockung sein, nicht zuletzt im Hinblick auf deren Potenzial als stationäre Touchpoints in einem Cross-Channel-Konzept. Sollte es da keine Neuigkeiten mehr geben, ist Amazon in der Medienbranche kein Hot Topic mehr. Damit, dass Amazon der grösste Onlineanbieter für physische Medien ist, hat sich die Branche abgefunden. Nun nimmt sie eher erleichtert zur Kenntnis, dass auch deren Umsatz mit dem schrumpfenden Markt sinkt und möglicherweise sogar Amazons Marktanteil rückläufig ist. Genau andersherum verläuft es bei Netflix und Spotify, den wachsenden Streaming-Champions der westlichen Welt, denen überhaupt kein nationaler Anbieter etwas entgegenzusetzen hätte.
Eher exotisch aber durchaus berechtigt ist, dass ein Studienteilnehmer im Zusammenhang mit ausländischen Anbietern Galaxus thematisiert. Mit ihrem Einkaufsbüro in Deutschland kauft Galaxus als deutscher Anbieter ein und bringt die Ware dann selbst in die Schweiz. Galaxus erreicht damit Möglichkeiten, die mit denen europäischer, international verkaufender Anbieter vergleichbar sind wie Zalando, die Otto-Gruppe, La Redoute und viele andere. Auf diese Weise könnte endlich ein horizontaler Schweizer Anbieter in der internationalen Liga mitspielen. Unter den vertikalen Anbietern haben PCP.COM und Beliani schon seit längerem herausgefunden, wie sie sich im internationalen Warenhandel der Preisdiskriminierung der Schweiz entziehen können.
In der Öffentlichkeit viel mehr Aufmerksamkeit bekam die Päckliflut aus Asien. 33 Mio. Kleinwarensendungen gelangten 2018 in die Schweiz, zumeist Zoll- und Mehrwertsteuer- befreit. 23 Mio. oder 70 % davon stammen aus Asien, knapp viermal so viel wie vor drei Jahren [11]. Die Anzahl der Sendungen aus anderen Ländern stagniert dagegen. Wie wird sich das in den nächsten Jahren weiterentwickeln? Eine etwas dämpfende Wirkung haben könnten die Einführung der Mehrwertsteuerpflicht für ausländische Versender mit einem Volumen von mehr als 100’000 CHF Umsatz pro Jahr ab 2019 und der stufenweise Abbau der subventionierten Zustellkonditionen nach den Statuten des Weltpostvereins. Andererseits richten chinesische Anbieter ihre Leistungen immer gezielter auf europäische Kunden aus und machen Fortschritte beim Leistungsniveau. Die beiden chinesischen ECommerce- Konglomerate Tencent und Alibaba investieren zudem gezielt in Europa und bauen Vertriebs- und Logistikstrukturen auf. Diese Wettbewerbergruppe sollte also definitiv ernst genommen werden.
Die asiatischen Plattformen sollte man nicht unterschätzen. Sie werden ihr Leistungsniveau steigern und mit zunehmendem Aufbau von Kundenvertrauen auch einmal Markenprodukte verkaufen. Studienteilnehmer
Der These, dass asiatische Anbieter bis 2025 einen Marktanteil von 10 % in ihrer Branche erreichen könnten, stimmen 29 % der Studienteilnehmer zu (Abb. 6). Diese Personen gehören zu horizontalen Schweizer Anbietern wie Marktplätzen oder zur Elektronikbranche. Die Modebranche sieht sich für einmal nicht betroffen.
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